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Atlantiktörn zum Yachtmaster Ocean der RYA

Atlantiktörn zwischen Madeira und Terceira

Ausbildungsfahrt für den Yacht Master Ocean der Royal Yachting Association

Am 02.08.2024 genoß ich mitten in der Nacht den spektakulären Anflug auf den Christiano-Ronaldo-Flughafen von Funchal auf Madeira. Wir waren erst um 22:00 Uhr in Lissabon gestartet und schwebten nun gegen 24:00 auf Madeira ein. Spektakulär geht es von Südost kommend an der Insel und am Flughafen zunächst vorbei um dann Richtung Flughafen einzuschwenken. Piloten brauchen eine eigene Lizenz um diesen Flughafen anzufliegen, da er eine sehr kurze Start-/Landebahn aufweist und zudem gut zur Hälfte auf Stelzen gebaut ist, es also keine Auslaufmöglichkeiten gibt. Dazu kommen die häufig ordentlichen Winde, sowie der Anflug in einer Schleife gegen die steil aufsteigenden Berge. Ein Freund von mir – Pilot bei der Luxair mit der Lizenz nach Madeira zu fliegen – klärte mich zudem vorher auf: Der Anflug geschieht per Hand – ohne Leitstrahl… Das geht ja schon mal gut los.

Madeira, die „Blumeninsel“, ist dann aber auf alle Fälle ein lohnenswertes Ziel, von dem ich und der Rest unserer Crew leider viel zu wenig hatten. Denn wir kamen nicht für einen Land- oder Inselurlaub hierher. Madeira war der Startpunkt unseres Törns in den folgenden zwei Wochen. Wir trafen uns alle in der Marina Quinta do Lorde im äußersten Osten am Beginn der Halbinsel Sao Lourenco. In diesem Eck der Insel sollen die ersten Entdecker aus Portugal angelandet sein. Wahrscheinlich nicht nur, weil sie aus dem Osten kamen, dazu aber später mehr. Die Marina liegt ausserhalb jeglichen Lebens Madeiras, im Areal eines neu gebauten Hotelkomplexes, der aber die Coronazeit nicht überlebt hat. So war der riesige Komplex (Quinta do Lorde) quasi menschenleer, mal abgesehen von ein paar Locals, Arbeitern, einer kleinen Bar, einem Bootsausrüstergeschäft und einem lokalen Walbeobachtungsbüro, die  zweimal täglich Ausflüge in die Buchten der Halbinsel mit motorstarken Schlauchbooten, vollgestopft mit Touristen, organisierten.

Dass die Hotelanlage unbewohnt war, war unattraktiv, stört uns aber nur bedingt, denn es galt das Boot klarschiff zu machen. Unser Törn Madeira – Azoren – Madeira, je Strecke ca. 650-700nm, sollte als Oceanpassage der Nachweis für den Erwerb unsere – Dagmar, Felix, Andy, Toni und ich – Yacht Master Ocean Lizenz sein. Solch eine Passage muss mindestens vier Tage (96 Stunden) dauern und eine Strecke von mindesten 600 Seemeilen lang sein. Zusätzlich müssen mindesten 250 Seemeilen dieser Strecke mindestens 50 Seemeilen entfernt von jeder Küste sein. Die Bewerber müssen mindestens Wachführer und aktiv an der Planung der Reise beteiligt gewesen sein. Alles muss von einem RYA Instruktor bestätigt werden. Anschließend werden Details zu dieser Passage in einer mündlichen Prüfung vertieft abgefragt. Wir hatten alle unseren Royal Yacht Master Offshore schon abgelegt, auch waren eigentlich alle Hochsee-Erfahren, aber dieser Törn fehlte noch. Unser Skipper für den ersten Teil war Nick Wright aus Südengland, unser Schiff die Lily of Hamble, Britische Flagge, eine Bavaria 51, ein älteres Modell aber top in Schuss.

Da ich erst gegen 01:00 am Schiff war, war für mich die Saloncouch reserviert. Immerhin war es warm und trocken. Die Marina war erstaunlich leer, die meisten Yachten unbesetzt. Wir lernten Leute aus USA; Südafrika, Deutschland, der Schweiz, Polen und Holland kennen. Die kommenden zwei Tage beschäftigten wir mit dem Schiff. Natürlich kannten wir die Lily alle schon, sie war aber deutlich aufgerüstet worden, entsprechend den englischen Richtlinien für eine kommerzielle Ocean Passage: Neben zwei Rettungsinseln für die doppelte Mannschaftsgröße waren sämtliche Schränke eigentlich nicht nutzbar, da mit allem möglichen vollgestopft. Wir bunkerten Verpflegung und kauten alles durch was mit Sicherheit und Schiffsführung zu tun hat – auf Englisch selbstverständlich. So beschäftigten wir uns mit sämtlichen Inspektionen, Motorkunde (inkl. Ersatzteilen), Reparaturwerkzeug, Leckbekämpfung, Rigginstandsetzung, Ersatzruderanfertigung, Feuerlöschsystemen (bis zur eigenen Pumpe mit Feuerwehrschlauch und -spritze), Medical Support inklusive von fünf großen Ocean-Passage-Kisten bzw. -Taschen (die in England vorgeschrieben sind), sämtlichen Sicherheits- und Rettungsmitteln und last-but-not-least auch noch den vorhandenen Kommunikationsmitteln (neben VHF auch unser Satelittentelefon). Es folgte dann das Vorbereiten der Passage. Diese ist natürlicherweise nun nicht so richtig schwierig zwischen zwei Inseln am Atlantik, viele Steine im Wasser sind nicht zu erwarten. Aber, und das macht die Sache dann doch interessant – es steht kein GPS zur Verfügung. Old School. Karte, Kompass, Navigationsbesteck. Und, da Landpeilungen ab 20nm Küstenabstand nicht mehr funktionieren können, hatten wir alle unsere Sextanten dabei und übten schon mal die Blicke in die entsprechenden Tafelwerke, den Nautical Almanach sowie die Sight Reduction Tables for Air Navigation. Im Gegensatz zum deutschen SHS verwendet der Engländer nämlich auch keinen Taschenrechner. Alles holt man sich aus den passenden Tabellen. Die beiden Inselabende genossen wir tolles Essen in Canical, eine gute Entschädigung für die Büffelei über die Tage. Insbesondere das „O Recante“ kann empfohlen werden.

Am 05.08.24 um 08:00 ging es dann endlich los. Wir rundeten noch bei ganz gut Wind die Halbinsel Sao Lourenco im Osten und fuhren nördlich von Madeira mit Kurs 320 Richtung Nordwest. Die stark zerklüftete Küste Nordmadeiras zog an uns vorbei. Keine Wale – große Enttäuschung. Nach dem Sonnenuntergang verschwand Madeira im Dunst, wir hatten den menschenleeren Atlantik erreicht. Leider verschwand mit dem ersten Tag auch der Wind, welcher erst eine knappe Woche (!) später wieder kommen wollte. Es war verhext, die meiste Zeit des Törns Richtung Azoren fuhren wir unter Maschine – gut für den Kühlschrank, schlecht für unsere Ohren und das Seglerherz. Dafür konnten wir uns natürlich leichter an das „Sonne-Schießen“ akklimatisieren. Der Engländer bestimmt tagsüber gerne seine Position mittels der „Sun-Run-Sun“ Rechnung. Um eine Kreuzpeilung auf dem Meer zu machen, kann man neben der Sonne auch den Mond, vier Planeten oder haufenweise Sterne heranziehen. Tagsüber reduziert sich das Spiel auf die Sonne und – wenn sichtbar – den Mond. Allerdings hatten wir während dieser Überfahrt tagsüber nur die Sonne – der Mond war unterhalb des Horizontes. Um aber mit einem einzigen Peilobjekt (also der Sonne) eine Kreuzpeilung zu machen, muss „versegelt werden“, also Zeit zwischen die Messungen gebracht werden. Dabei sollte eine der Messungen immer die sogenannte Mittagsbreite sein. Diese gibt mit einer sehr hohen Sicherheit die richtige Breite des Standortes wieder und ist eigentlich einfach: man wartet bis die Sonne den höchsten Punkt erreicht hat und geht mit dem entsprechend gemessenen Winkel in die Tabellenwerke. Die Länge übernimmt man aus dem Koppelort. der Koppelort gibt auch die ungefähre Mittagszeit wieder. Zeit – das ist natürlich auch so eine Sache. Gerechnet wird in UTC – Universal Time Coordinated – der Zone von Greenwich. Komplex werden solche Sachen wenn die Bordzeit ungefähr der Zeitzone des Standortes entspricht. Dann muss umgerechnet werden. Wir hatten Glück – Madeira hat auch UTC, die Azoren sind eine Stunde später – unsere Bordzeit war UTC. Alles klappte gut, die Stimmung war in Ordnung, Sonnencreme ausreichend vorhanden. Lediglich der nahezu 24h durchlaufende Motor war ein Grauss.

Schon am zweiten Tag stellten wir fest, dass unsere errechneten astronomischen Standorte nicht mit unseren Koppelorten übereinstimmten. Wir durften von den elektronischen Hilfsmitteln nur die elektronische Logge und das Lot (haha – bei 3000-4000m Wassertiefe), nachts auch das Radar, verwenden, nicht das GPS. Durch Abweichungen zwischen der berechneten und gekoppelten Position, die sich zudem langsam verstärkten, bekamen wir tatsächlich nach einem Nachmittag mit Rechnen und Kontrollieren heraus,… da hat doch tatsächlich einer an der Logge rumgefummelt. Ca. 10% zuviel der geloggten Distanz. Von da an konnten wir unsere gekoppelte Position besser bestimmen, und errechneten die Ankunft auf Terceira richtig. Nördlich von Santa Maria und Sao Miguel erreichten wir die Azoren. Leider war es uns auch um die Azoren nicht möglich Wale aus der Nähe zu sehen, lediglich in einiger Entfernung sahen wir Fontänen. Schade. Delfine gab es aber ohne Ende, die Größe Schule hatte sicher 20 von ihnen. Das Erstaunlichste an dieser Reise war aber der Ozean – nahezu vier Tage lang lediglich eine geringe langsame Dünnung, sonst nichts, zeitweise absolut ruhiges, stilles Wasser. Unglaublich. Nachdem wir Sao Miguel passiert hatten kam langsam Terceira in Sicht. Am 09.08.2024 um 12:00 ließen wir den Anker in der Bucht von Praia da Vitoria im Osten der Insel fallen. Der erste Teil unserersTörns war geschafft.

Praia hat neben der Bucht auch einen kleinen Hafen, der aber rappelvoll war. Die Boote trugen alle möglichen Flaggen, einmal quer über die Weltkugel. Ein Grund war die alljährliche Festwoche, die Festas da Praia, die genau zeitgleich stattfand. Ein riesiges Spektakel der einheimischen Bevölkerung. Ca. 6.000 Menschen wohnen in Praia, zum Fest sollen um die 40.000 Besucher da sein – gut 2/3 der Inselbewohner. Wir lagen ca. 100m vor dem Hafeneingang, so wurde das Dingi unser wichtigstes Ausrüstungsteil und verband unser Bootsleben mit festen Boden. Auf Terceira wechselte unsere Crew: Unser Skipper Nick sowie Crewmitglied Felix gingen von Bord, unser neuer Skipper, Bootseigner und Besitzer der Segelschule Bernd Reese kam an Bord. Wir genossen noch tolle Tage auf Terceira, bunkerten insbesondere Diesel, und gönnten uns zwei schöne Abende in einem tollen Restaurant – dem Pescodore – in der Stadt. Dazu kam das spektakuläre Festival mit Karnevalsumzug und Stierkampf am Strand. Am Sonntag gab es zudem eine maritime Marienprozession. Da auf Terceira ein amerikanischer Luftwaffenstützpunkt ist, wird in Praia zudem gut englisch gesprochen. Einen Tag gönnte ich mir und konnte bei einer Wanderung die üppige Vegetation kennenlernen – an den Hängen der Hügel und Berge staut sich derart viel Regenwasser, dass man sich durch Urwald kämpfen muss, will man da hindurch.

Nach erneuter Vorbereitung der Rückreise brachen wir am 12.08.24 gegen 10:00 Uhr wieder in Terceira, nun auf entgegengesetztem Kurs, also 140 Grad, gen Madeira auf. Wir passierten diesmal die Insel Sao Miguel südlich, Santa Maria (man denke an das Lied von Roland Kaiser) wieder nördlich. Obwohl auch zu Beginn der Rückfahrt der Atlantik platt wie ein Ententeich ohne Enten war, konnten wir abermals keine Wale sehen. Nochmal schade. Erst am 14.08.24 kam wieder Wind auf, so dass wir den Motor tatsächlich ausschalten und von da an die Lily als Segelboot nutzten konnten. Kurz vor Madeira, abends am 15.08.24, steigerte sich der Wind sogar noch bis auf 40kn. Auf dem Rückweg feilten wir weiter an unseren Messungen und Berechnungen. Wir mussten natürlich wieder bald feststellen, dass der Fehler von 10% plus in der Logge weiterhin vorhanden war. Wen wundert es. Mit dem Mond hatten wir mehr Glück und konnten so Kreuzpeilungen (Sonne/Mond) üben. Der Mond ist astronavigatorisch sehr interessant, da die Berechnungen seines Winkels deutlich schwieriger als bei Sternen, Planeten und auch der Sonne ist. Weiter festigten wir das „Sun-Run-Sun“ Schema. Da ich das unglaubliche Glück hatte, die Hundewache abzudecken (wir hatten ein festen Wachschema), konnte ich zudem jeden Morgen versuchen die Höhenwinkel der Planeten Saturn und Jupiter sowie diverse Sterne zu bestimmen. Dieses ist auch nicht unbedingt trivial, da gerne entweder der Stern oder der Horizont nicht richtig ausgemacht werden kann – so ist es gerne noch zu dunkel oder schon zu hell. Bei Sonnenauf-  und untergang übten wir zudem die astronomische Kompasskontrolle. Dadurch, dass man das Azimut (also die Peilrichtung) aus dem Almanach entnehmen kann und die Missweisung bekannt ist, kann man die Abweichung im Kurs berechnen.

Obwohl sich häufig zwischen uns Schülern die Berechnungsergebnisse der Standorte nur wenige Meilen unterschieden, wollte aber Madeira nicht in Sicht kommen. Landnähe kann auch an Wolken oder Tieren (Vögel und Schmetterlinge) erkannt werden, aber es kamen nichts in Sicht. Eine dunstige Nebelsuppe, die wir scheinbar vor uns her schoben, verwischte den Horizont. Obwohl sich Madeira bis auf über 1800 Meter aus dem Meer erhebt (höchste Spitze Pico Ruivo 1862m), tauchten erst knapp 20 Meilen vor der Insel erste Umrisse auf. Die feucht-warme Luft staut sich derart vor der Insel im Nordwesten, man konnte sie von hier gar nicht entdecken. Vielleicht auch ein Grund, warum frühere Entdecker nur aus dem Osten kommen konnten, aus der Richtung, aus der man die Insel auch aus weiterer Entfernung sehen kann.

In der letzten Nacht rundeten wir Madeira südlich, mit dem Morgengrauen befanden wir uns ca. auf der Höhe der Hauptstadt Funchal. Wir wunderten uns über ein Feuer in der Höhe der Berge, welches sich nachträglich als ausgewachsener Waldbrand herausstellte, der auch noch 14 Tage später die Feuerwehren der Insel beschäftigte. Daneben wunderten wir uns über ein schwer zu identifizierendes Schiff, das verdächtig nah um uns herumschlich, immer hin uns her fahrend. Ein Fischer – ohne AIS, lediglich als Maschinenfahrzeug ausgewiesen ? Nach Sonnenaufgang stellte sich heraus, dass es eine portugiesische Fregatte war, wahrscheinlich auf Patroullienfahrt, eventuell in Zusammenhang mit den bekannten Drogenschmuggeleien. 

Am 16.08.24 legten wir in Quinta do Lorde wieder gegen 14:00 Uhr an. Wir hatten 1300 nautische Seemeilen im Kielwasser, leider sehr maschinenlastig. Wir hatten x-mal die Sonne geschossen, waren uns sicher, dass die Sextantenmethode auf wenige Seemeilen den Standort wiedergeben kann, hatten leider „nur“ haufenweise Delfine gesehen und waren aber um eine Erfahrung reicher: der Atlantik kann auch ganz harmlos. Zudem konnten wir alle im Oktober die mündliche Abschlußprüfung erfolgreich absolvieren und dürfen uns seit dem Yacht Master Ocean nennen.

Veit Zimmermann

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